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Mithilfe von KI eine Filmsynchronisation nachbessern oder Science-Fiction-Figuren zum Leben erwecken? Mit seinem Team forscht der Informatiker Christian Theobalt an der Schnittstelle von Computer-Vision, Computer-Grafik und künstlicher Intelligenz.

Zum Podcast (36 min) vom 3. September 2025 © detektor.fm / Max-Planck-Gesellschaft

Inhalt
01:28 | Einleitung: KI für Filmsynchronisation

02:41 | Gab es einen Anlass, sich mit KI zu beschäftigen?

04:29 | Beispiele für Computer-Visual-Probleme

05:29 | Methoden in der Forschung, Beispiele für Forschungsfragen

06:49 | Warum will man die reale Welt mit KI simulieren?

08:40 | Forschungsprojekte für die Filmbranche: Motion-Capture-Verfahren optimieren

11:15 | Leistung der KI bei Motion-Capture-Verfahren

13:20 | Anwendungsbeispiele in der Medizin (Untersuchung des Bewegungsapparates)

14:29 | Einsatz von neuronalen Netzen in der Filmbranche: Visual Dubbing

17:02 | Stimmen imitieren mit KI?

19:06 | Kann man die Mimik in Echtzeit von einer Person auf eine andere übertragen?

21.40 | Anwendungen der Mimikerkennung (virtuelle Avatare)

24:31 | Risiken: Manipulation, Deep Fakes mit Hilfe von KI

27:41 | Wie kann man erkennen, was echt ist und was nicht?

29:58 | AI-Act: Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten

31:20 | Umgang mit der rasanten Entwicklung von KI

33:50 | Vision zur Forschung?


Bild: © [M] MPG; Roboter im Atelier: [AI] Midjourney / MPG; Vitruvianischer Mensch: Leonardo da Vinci , Foto: Luc Viatour / ucnix.

Das Titelbild des Heftes zeigt zwei stilisierte virtuelle Köpfe. Sie stellen eine KI dar.

© istockphoto.com / berya113

Forschende machen sich neugierig und motiviert auf die Suche nach neuem Wissen. Und mit einer guten Portion Kreativität und Ausdauer können sie Neues entdecken und verstehen. Künstliche Intelligenz ist zunehmend ein wichtiges Hilfsmittel, um dieses Ziel zu erreichen. Doch könnte die KI auch selbst als Wissenschaftlerin agieren, zu Erkenntnissen gelangen oder Ideen, Konzepte und echtes Verständnis entwickeln?

Noch nicht einmal fünf Jahre alt und schon das Abitur gut bestanden: Deutsch 2, Geschichte 2, Mathe 2, Ethik 2, Informatik 2. Die Hochbegabte: die künstliche Intelligenz (KI) ChatGPT, die auf einem großen Sprachmodell (large language model, LLM) basiert. Und wie sich anhand von Aufgaben aus dem bayerischen Abitur zeigte, war die 2023 verfügbare Version GPT-4 bereits so weit entwickelt, dass sie als gute Schülerin durchging und die allgemeine Hochschulreife zugesprochen bekam. Doch bedeutet das, dass die KI tatsächlich intelligent ist, oder plappert sie nur wie ein gut trainierter Papagei die richtigen Phrasen im richtigen Moment? Dass sie bekanntes Wissen korrekt und verständlich wiedergeben kann, hat KI schon gezeigt. Aber kann sie auch für die menschliche Intelligenz entscheidende Eigenschaften wie Neugier, Motivation und Kreativität entwickeln, Aufgaben eigenständig bearbeiten und sich eine eigene Meinung bilden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Physiker Mario Krenn. Am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und an der Eberhard Karls Universität Tübingen arbeitet er an einer KI, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützt oder sogar eigenständig forscht.

Neue Lösungen für Experimente

Zu dieser Forschung gelangte Krenn über die Quantenoptik. Im Jahr 2014 arbeitete er als Doktorand im Labor des späteren Nobelpreisträgers Anton Zeilinger in Wien daran, in komplexen optischen Aufbauten Lichtteilchen mit besonderen Eigenschaften herzustellen. Doch an einer Aufgabe biss Krenn sich monatelang die Zähne aus. Zusammen mit weiteren Forschenden versuchte er sich einen experimentellen Aufbau zu überlegen, der Lichtteilchen herstellt, die eine ganz bestimmte Beziehung zueinander haben. Egal wie er Laser, Linsen, Spiegel, Kristalle und Detektoren in seinen Gedankenexperimenten, Skizzen und Berechnungen anordnete, das erwünschte Ergebnis blieb aus. Also entschied Krenn sich dazu, ein Computerprogramm zu entwickeln, das sich auf die Suche nach der Lösung für sein Problem machen sollte. Dazu stattete er das Programm mit physikalischem Grundwissen aus und stellte alle optischen Bauteile virtuell zur Verfügung. „Damals wie heute setzen wir dazu sogenannte Explorationsalgorithmen ein, die den riesigen abstrakten Raum an Kombinationen sehr effizient auf neue Lösungen durchsuchen“, sagt Krenn. Melvin, wie Krenn sein Programm taufte, simulierte also Millionen von Kombinationen der Bauelemente und hatte damit schnell Erfolg. „Das war ein verrückter Tag. Ich konnte das gar nicht glauben. Das Programm hatte in ein paar Stunden eine Lösung gefunden, nach der drei experimentelle und ein theoretischer Physiker monatelang gesucht hatten“, erzählt Krenn. Anschließend sorgte er dafür, dass Melvin dazulernen konnte. Dank eines Algorithmus des maschinellen Lernens erinnert sich das Programm an bereits simulierte Aufbauten und versucht, diese für die Lösung des neuen Problems wiederzuverwerten.

Ausgehend von diesem Erfolg untersucht Krenn, wie KI der Forschung helfen und zu neuen Erkenntnissen beitragen kann. Schon heute ist KI ein wichtiges Hilfsmittel: So kann beispielsweise AlphaFold, das auf tiefen neuronalen Netzen basiert, eine Proteinstruktur auf Grundlage der Aminosäuresequenz vorhersagen. Dies ermöglicht es, genau auf eine Anwendung zugeschnittene Proteine herzustellen. Und deren Potenzial ist riesig, etwa in der Medizin oder chemischen Industrie. Doch neues Verständnis hat AlphaFold bisher nicht produziert. So sagt das Programm zwar voraus, wie die Struktur eines Proteins einer bestimmten Aminosäuresequenz aussieht, erklärt aber nicht, warum es diese Form annimmt oder wie die Faltung abläuft.

Maschinen forschen mit

Krenn wünscht sich aber eine KI, die mehr ist als eine Blackbox, die ein Ergebnis produziert. Daher untersucht er, wie KI auf unterschiedlichen Ebenen zu neuem Verständnis beitragen kann (Abb. A). In der ersten Dimension dient KI als Instrument, das Eigenschaften eines Systems aufdeckt, die sonst nur schwer oder gar nicht zu ergründen sind. Menschen können aus diesen Erkenntnissen dann wissenschaftliches Verständnis entwickeln. Dies gilt vor allem für die Simulation von natürlichen Prozessen, die auf Längen- und Zeitskalen ablaufen, die im Experiment nicht wahrnehmbar sind. In der zweiten Dimension dient die KI als Inspirationsquelle für neue Konzepte und Ideen, die menschliche Forschende verstehen und verallgemeinern können. So kann die KI Überraschungen in Datensätzen oder der Literatur finden. Oder unerwartete Konzepte entdecken, indem sie wissenschaftliche Modelle untersucht oder mit einprogrammierter Neugier oder Kreativität einen Datenraum exploriert. Und auch wenn die KI Lösungen für bestimmte Probleme beziehungsweise Aufgaben in interpretierbarer Form ausgibt, kann sie als Inspirationsquelle für die Entdeckung neuer Konzepte dienen. In diesen ersten beiden Dimensionen ermöglicht die KI also dem Menschen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. In der dritten Dimension gewinnt die Maschine selbst neue Erkenntnisse und damit Verständnis und kann dieses auch weitergeben. In diese Dimension ist KI bisher nicht vorgedrungen.

Die Abbildung verdeutlicht schematisch, wie KI auf drei Dimensionen zu neuem wissenschaftlichem Verständnis beitragen kann. Links: KI als Instrument, symbolisiert durch ein Bild mit einem Flugzeugflügel und Strömungsmustern. Mitte: KI als Inspirationsquelle, symbolisiert durch ein Bild mit Haifischhaut. Rechts: KI als Agentin mit eigenem Verständnis, symbolisiert durch ein Bild mit einer gerillten Oberfläche.

Abb. A: KI kann auf drei Dimensionen zu neuem Verständnis beitragen. [ 1 ] Als Instrument, das Eigenschaften eines physikalischen Systems aufdeckt, die sonst nur schwer oder gar nicht zu ergründen sind. Bei der Haifischhaut hätte eine KI durch Simulationen die Experimente in einem Strömungskanal ersetzen können. [ 2 ] Als Inspirationsquelle, die überraschende Ideen und Konzepte findet. Die KI hätte etwa Forschende aus der Luft- und Raumfahrt auf die Beobachtungen des Wirbeltierforschers aufmerksam machen können, der die Rillen auf den Haifischschuppen entdeckte. [ 3 ] Als Agentin des Verständnisses, die selbst in der Lage ist, wissenschaftliches Verständnis zu entwickeln und weiterzugeben. So eine Agentin hätte auch ohne das biologische Vorbild der Haifischhaut auf derartige Rillen kommen können, um den Strömungswiderstand von Flugzeugen zu reduzieren.
© DLR (CC BY-NC-ND 3.0), Pascal Deynat/Odontobase (CC BY-SA 3.0), MPG (CC BY-NC-SA 4.0)

Ein Beispiel aus der Bionik verdeutlicht die drei Dimensionen (Abb. A). In der Bionik geht es um technische Entwicklungen, die von der Natur inspiriert sind. So wurde für den Flugzeugbau eine Folie entwickelt, die die mikroskopische Struktur von Haifischhaut nachahmt und die Luftströmung entlang des Flugzeugs optimiert. Dadurch können Treibstoff eingespart und CO2-Emissionen reduziert werden. Nach aktuellem Stand der Technik wird der Luftwiderstand um 1,1 Prozent reduziert. Was nach wenig klingt, führt dazu, dass ein einziges Flugzeug 400 Tonnen weniger Kerosin pro Jahr verbraucht. Diese Technik hat ihre Anfänge in den 1970er-Jahren, in denen ein Wirbeltierpaläontologe feine Rillen auf den Schuppen von Haien bemerkte. In den 1980er-Jahren griffen Forschende aus einem anderen Wissenschaftsfeld diese Entdeckung auf und untersuchten, ob und wie solche Strukturen dabei helfen können, den Strömungswiderstand zu verringern. Eine KI der zweiten Dimension hätte die Forschenden schneller auf die Beobachtung des Wirbeltierpaläontologen aufmerksam gemacht. Und eine KI der ersten Dimension hätte die Experimente im Strömungskanal ersetzt und simuliert, wie sich das Strömungsverhalten für unterschiedliche Rillenmuster verändert. Eine KI der dritten Dimension könnte sogar gänzlich auf das biologische Vorbild der Haifischhaut verzichten. Sie könnte aus grundlegenden physikalischen Überlegungen auf derartig gerillte Oberflächen kommen, um den Strömungswiderstand zu optimieren. Dabei würde die KI neue, gesetzmäßige Erkenntnisse produzieren, die ein allgemeines Verständnis der Reduzierung des Strömungswiderstandes und damit eine technische Nutzung erlauben. Dieses Verständnis könnte die KI auch an Menschen weitergeben, indem sie lehrt und erklärt.

Algorithmen erzeugen Forschungsfragen

Mario Krenn arbeitet aktuell an einer KI als Inspirationsquelle. Zusammen mit seiner Kollegin Xuemei Gu entwickelte er SciMuse, die Wissenschafts-Muse: Ein System, das neue, personalisierte Forschungsideen vorschlägt. Dazu stützten sich die Forschenden einerseits auf GPT-4 und setzten andererseits auf einen selbst entwickelten Wissensgraphen (Abb. B). Der Wissensgraph enthält Informationen zum Inhalt und Einfluss von mehr als 58 Millionen wissenschaftlichen Artikeln. Während der Entwicklung von SciMuse nutzten die Forschenden entweder eine Kombination aus ihrem Wissensgraphen und GPT-4 oder GPT-4 alleine, um Forschungsvorschläge zu generieren. Dabei beinhalteten die Prompts für GPT-4 die Aufforderung zur Selbstreflexion: GPT-4 sollte drei Ideen entwickeln, reflektieren und zweimal verbessern. Und dann die am besten geeignete Projektidee als Endergebnis auswählen. Eine derartige Selbstreflexion ist in zahlreichen aktuellen LLM-KIs bereits enthalten, so auch in der GPT-4 Nachfolgerin o3. Diese sogenannten Reasoning-Modelle überprüfen ihre eigenen Ergebnisse schrittweise, bevor sie eine Antwort geben.

Die Abbildung zeigt links einen Wissensgraphen, der mit verschiedenfarbigen Linien, die sich kreuzen, symbolisiert wird. In der Mitte sind Merkmale aufgelistet, rechts ist ein neuronales Netz mit einer verborgenen Schicht und einem Ausgabeneuron durch Kreise mit Linien symbolisiert.

Abb. B: Im Wissensgraphen (links) repräsentieren die Kreise (Eckpunkte) wissenschaftliche Konzepte. Und jedes Mal, wenn zwei Konzepte gemeinsam in einem Titel oder der Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Arbeit erscheinen, wird eine Verbindungslinie (Kante) gezogen. Der gelbe und der blaue Teilgraph repräsentieren die Arbeit zweier Forschender, für die ein gemeinsamer Forschungsvorschlag gesucht wird. Die Merkmale der Konzepte im Wissensgraphen (Mitte) beeinflussen das Interesse an den Forschungsvorschlägen erheblich. Auf Grundlage dieser Daten wurde ein maschinelles Lernmodell trainiert, um den Grad des Interesses allein auf der Grundlage dieser Eigenschaften vorherzusagen. Als Lernmodell wurde ein kleines neuronales Netz (rechts) mit einer verborgenen Schicht und einem Ausgabeneuron genutzt (s. Techmax 34, Abb. B).
© Verändert nach: Gu & Krenn (2024): Generation and human-expert evaluation of interesting research ideas using knowledge graphs and large language models; OpenReview.net / CC BY 4.0

Krenn und Gu legten im nächsten Schritt einhundert erfahrenen Max-Planck-Forschenden die KI-generierten, personalisierten Forschungsvorschläge vor. In einer Umfrage bewerteten diese das Interessensniveau der Vorschläge. Die Ergebnisse zeigten, dass die Forschungsvorschläge, die mittels einer Kombination von Wissensgraph plus GPT-4 erstellt wurden, nicht besser abschnitten als jene, die von GPT-4 alleine erzeugt wurden. Doch anhand der Bewertungen konnten die Forschenden klare Zusammenhänge zwischen Interessensniveau des Forschungsvorschlags und Eigenschaften nachweisen, die die zugrunde liegenden Konzepte im Wissensgraphen aufwiesen (Abb. B). Anhand dieser Zusammenhänge trainierte Krenns Team ein kleines neuronales Netz für die Vorhersage des Forschungsinteresses allein aus Daten des Wissensgraphen. Damit hatten sie die KI mit einem Gefühl für spannende Forschungsthemen ausgestattet und so SciMuse geschaffen. Dank dieses Gefühls kann SciMuse neue und hochinteressante Forschungsthemen aus Wissensgraphen auswählen und mit Hilfe moderner großer Sprachmodelle vollwertige Forschungsvorschläge formulieren.

Große Sprachmodelle

GPT-4 konnte Krenns Team nicht auf die gleiche Weise mit Gefühl ausstatten. Denn während sie im selbst entwickelten Wissensgraphen bestimmte Eigenschaften ausmachen konnten, die das Interessensniveau beeinflussen, haben sie keinen Einblick in die Arbeitsweise von GPT-4. LLMs wie GPT-4 sind meist eine Blackbox, die so komplex ist, dass niemand genau versteht, wie sie auf ihre Ergebnisse kommt. Ein LLM basiert auf einem künstlichen neuronalen Netz, das auf die Verarbeitung und Erzeugung von natürlicher Sprache spezialisiert ist. Ein oftmals genutzter Ansatz, um ein LLM zu erzeugen, ist der generative vortrainierte Transformer (generative pre-trained transformer, GPT). Dieser ist darauf spezialisiert, Text zu verarbeiten und zu erzeugen. Dabei wird Text in numerische Repräsentationen (Token) umgewandelt. Jedes Token wird gemäß einer Worteinbettungstabelle (word embedding) in einen Vektor umgewandelt und so in Kontext gesetzt (Abb. C). Das künstliche neuronale Netz trainiert bei GPTs auf riesigen Datensätzen unmarkierten Textes (unüberwachtes Lernen). Zur Feinabstimmung wird überwachtes Lernen und Verstärkungslernen durch menschliches Feedback eingesetzt.

Die Abbildung zeigt zwei Dimensionen „Alter“ und „Geschlecht“ und darin einsortiert die Darstellung von Wörtern (wie zum Beispiel Junge, Mädchen, Säugling) als Vektorpfeile.

Abb. C: In der natürlichen Sprachverarbeitung ist eine Worteinbettung eine Darstellung eines Wortes. In der Regel handelt es sich bei der Darstellung um einen Vektor, der die Bedeutung des Wortes so kodiert, dass bei Wörtern, die im Vektorraum näher beieinander liegen, eine ähnliche Bedeutung zu erwarten ist. Der Vektor kann dabei vieldimensional sein, hier ist ein Beispiel in 2D dargestellt. Dabei werden Wörter gemäß ihrer Bedeutung in die Dimensionen Alter und Geschlecht eingeordnet.
© MPG

Wann forscht KI besser als wir?

Aktuelle große Sprachmodelle wirken schon erstaunlich intelligent. Im Fall der Reasoning-Modelle sprechen einige Fachleute sogar davon, dass diese Modelle nun logisch denken können. Kritiker bezweifeln dies und sehen den Schritt hin zur allgemeinen künstlichen Intelligenz (artificial general intelligence, AGI) noch in weiter Ferne. Unter AGI versteht man eine KI, die eigene Schlüsse zieht, sowie Bekanntes und Gelerntes auf neue Felder übertragen kann. Außerdem sollte eine AGI in einer natürlichen, das heißt einer komplexen und offenen Umgebung zurechtkommen. Wenn es um die Bewertung der Intelligenz einer KI geht, wird es schnell philosophisch. Denn es ist nicht ganz klar, was intelligent genau bedeutet. Schon heute überflügeln KIs den Menschen in zahlreichen Kategorien des rationalen Denkens. Doch bisher scheitern KIs daran, auf unerwartete Veränderungen zu reagieren oder ihr Gelerntes auf Gebiete anzuwenden beziehungsweise zu übertragen, die nicht ihrem Training entsprechen. Eine KI, die selbst als Wissenschaftlerin agieren soll, müsste genau das schaffen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Verständnis zu entwickeln. Denn Verständnis setzt eine intuitive, modell- oder bildhafte Vorstellung eines wissenschaftlichen Zusammenhangs voraus. Diese Vorstellung ermöglicht es dann, qualitative Aussagen zu treffen, ohne genaue Berechnungen anzustellen.

Für die KI als Wissenschaftlerin sind außerdem auch Neugier, Kreativität und Motivation wichtig. Dazu braucht sie eine Beziehung zur realen Welt. Denn um spannende, das heißt bedeutende Probleme beziehungsweise Fragen zu identifizieren, muss sie wissen, was ihr selbst oder für die ganze Menschheit wichtig ist. Dieses sogenannte Weltwissen ist bei KIs bisher wenig ausgeprägt. Das liegt an den eingeschränkten Trainingsdaten, die KIs bisher zum Lernen nutzen. Zwar könnte man bei großen Sprachmodellen wie ChatGPT davon sprechen, dass sie sich durch die enorme Anzahl an verarbeiteten Texten Weltwissen angeeignet haben. Doch auch ihnen fehlt der vieldimensionale Bezug zur Welt, weil sie im Gegensatz zum Menschen keine verkörperten Intelligenzen sind: Sie können nicht physisch mit der realen Welt interagieren und auch nur sehr eingeschränkt Sinneseindrücke sammeln. Während also ein Mensch sowohl Auto fahren als auch wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen kann, ist dies für KIs momentan noch eine Herausforderung.

Mario Krenn bewertet die Fähigkeiten von KI als Wissenschaftlerin aktuell so: „Wir sind jetzt auf dem Niveau, auf dem wir Ideen erzeugen können. Und bei bestimmten Themen können unsere KI-Systeme bereits vollkommen neue Lösungen für wissenschaftliche Fragestellungen finden!“ Für die Zukunft ist er optimistisch und hofft, dass die KI ihre menschlichen Kolleginnen und Kollegen auf der Suche nach neuen Erkenntnissen bald kräftig unterstützt.

 

Abbildungshinweise:
Titelbild: © istockphoto.com / berya113
Abb. A: © DLR (CC BY-NC-ND 3.0), Pascal Deynat/Odontobase (CC BY-SA 3.0), MPG (CC BY-NC-SA 4.0)
Abb. B: © Verändert nach: Gu & Krenn (2024): Generation and human-expert evaluation of interesting research ideas using knowledge graphs and large language models; OpenReview.net / CC BY 4.0
Abb. C: © MPG

 

Der Text wird unter CC BY-NC-SA 4.0 veröffentlicht.

TECHMAX Ausgabe 39, August 2025; Text: Dr. Andreas Merian; Redaktion: Dr. Tanja Fendt

Zwei Podcast-Folgen beleuchten verschiedene Aspekte zum Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin.

KI und bildgebende Verfahren
Zum Podcast (28 min) vom 9. Juli 2025 © detektor.fm / Max-Planck-Gesellschaft
Themen: Deep Learning //  Explainable Artificial Intelligence // Auswertung von MRT-Bildern mit KI

KI in der Biomedizin
Zum Podcast
(35 min) vom 12. Juni 2025 © detektor.fm / Max-Planck-Gesellschaft
Themen: Ethische Fragen beim Einsatz von KI im Gesundheitswesen // Oszillierende Neuronale Netze // KI hilft bei der Berechnung von biologischen Abläufen

Die Verschränkung macht das E91-Übertragungsprotokoll noch sicherer. Nachteil: Ihre besondere Empfindlichkeit gegen Störungen erhöht den technischen Aufwand.

© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Das BB84-Protokoll nutzt die Nichtkopierbarkeit von Quanteninformation.

© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Oben: Im ersten Schritt schickt Alice ihren Schlüssel an Bob durch den sicheren Quantenkanal. Unten: Danach können beide ihre damit verschlüsselten Botschaften im öffentlichen, unsicheren Kanal sicher austauschen.

© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Symbolbild: Schloss mit Zahlen im Hintergrund, in Blau und Magenta

© FREEPIK / stwul

Geheime Nachrichten so zu verschlüsseln, dass nur der Empfänger sie lesen kann: Das ist heute wichtiger denn je. Die Quantenphysik bietet einzigartige Möglichkeiten für einen Austausch von Geheimschlüsseln über größere Distanzen. Auf dem Gebiet dieses Quantenschlüssel-Austauschs, auch Quantenkryptographie genannt, forschen mehrere Max-Planck-Teams. Dabei geht es um das Senden von Geheimschlüsseln durch Glasfasern und via Satellit.

Das wissenschaftliche Wort „Kryptographie“ basiert auf dem Altgriechischen und heißt so viel wie „geheimes Schreiben“. Heute werden selbst im privaten Chat über soziale Netzwerke starke Verschlüsselungen verwendet. Sie sind nur mit so hohem Rechenaufwand zu brechen, dass das auf heutigen Computern nicht möglich ist. Allerdings: Dass eine Verschlüsselung absolut knacksicher ist, lässt sich selbst für die besten Verfahren mathematisch nicht beweisen. Man setzt darauf, dass selbst die leistungsfähigsten Supercomputer zu lange rechnen müssen, um den Code zeitnah brechen zu können. Dieser Strategie droht jedoch eine neue Gefahr, die aus der Quantenwelt kommt: Sobald Quantencomputer praktisch einsetzbar sein werden, ist kein heute etablierter Code mehr sicher gegen schnelles Entschlüsseln.

Selbst stärkere Codes, die derzeit entwickelt werden, sind nicht beweisbar sicher gegen künftige Quantencomputer-Angriffe. Doch die Quantenwelt bietet ein wirksames Gegenmittel: den abhörsicheren Austausch von sogenannten Quantenschlüsseln. Tatsächlich gibt es schon seit einigen Jahren kommerzielle Anbieter. Allerdings sind diese abhörsicheren Verbindungen bislang nur über relativ kurze Glasfaserverbindungen praktikabel – trotz Rekordmeldungen von hunderten von Kilometern. Diese Technologie erfordert also noch viel Grundlagenforschung.

Giulio Malavolta arbeitet am Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre unter anderem an Protokollen für eine sichere Nachrichtenübermittlung in Quantennetzwerken. „Quanteninformation ist nicht kopierbar“, sagt er. Das unterscheidet sie grundlegend von klassischer Information: Im Alltag kopieren wir andauernd klassische Bits von einem Gerät auf ein anderes, zum Beispiel wenn wir Videos streamen. In der Wissenschaft heißt diese spezielle Eigenschaft der Quanteninformation „No-Cloning-Theorem“ – Klonen bedeutet Kopieren. Wenn also eine Alice (für „A“) einem Bob (für „B“) einen quantenverschlüsselten „Brief“ schickt, kann Bob beim Empfang erkennen, ob jemand spioniert hat. Fängt eine Eve, genannt nach Eavesdropper für Lauscher, den Brief unterwegs ab und versucht, ihn zu kopieren, dann hinterlässt sie eine Spur in der Quanteninformationspost. Das liegt daran, dass sie eine Messung durchführen muss und dabei die Sendung stört. Bob würde nur Unsinn zu lesen bekommen, ein Warnsignal.

Abhörsichere Photonenpost

Natürlich werden in der Quantenkryptographie keine Papierbriefe verschickt, sondern Lichtquanten – Photonen – mittels Laserlicht. Die abhörsichere Quantenverbindung dient auch allein dem Austausch eines Quantenschlüssels zwischen Alice und Bob. Damit verschlüsseln sie dann ihre eigentliche Botschaft. Diese können sie nun unbesorgt durch das ganz normale öffentliche Netz schicken, denn das geht viel schneller als im Quantenkanal (Abb. A). Alle können mitlauschen, aber niemand kann die Botschaft knacken. Wirklich niemand? Tatsächlich lässt sich für einen Quantenschlüssel genau ausrechnen, wie knacksicher er ist. Das unterscheidet die Quantenkryptografie grundlegend von der klassischen Kryptografie. Einfach gesagt: Je länger der Quantenschlüssel ist, desto kleiner ist das Risiko einer Entschlüsselung. Die Schrumpfung dieses Restrisikos auf fast Null ist technisch kein Problem.

Die Grafik zeigt die Quantenschlüssel-Verteilung, erklärt mit zwei Figuren (Alice und Bob), und Symbolen für den Quantenschlüssel und den verschlüsselten Text sowie den Klartext.

Abb. A: Quantenschlüssel-Verteilung. Oben: Im ersten Schritt schickt Alice ihren Schlüssel an Bob durch den sicheren Quantenkanal. Unten: Danach können beide ihre damit verschlüsselten Botschaften im öffentlichen, unsicheren Kanal sicher austauschen.
© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Das einfachste quantenkryptographische Verfahren setzt auf die Nichtkopierbarkeit von Quanteninformation. Die Idee hatten der US-amerikanische Physiker Charles Bennet und sein frankokanadischer Kollege Gilles Brassard bereits 1984, weshalb dieses Protokoll kurz „BB84“ genannt wird. Es funktioniert im Prinzip wie das Briefbeispiel. Die Quanteninformation des Schlüssels wird dabei in einen langen Zug aus Photonen hineingeschrieben. Jedes Photon entspricht einem Quantenbit, das sich unterwegs in einer Eve unbekannten Überlagerung der beiden Bit-Zustände 0 und 1 befindet. Hineingeschrieben wird die Quanteninformation über eine geeignete Messung – und so auch gelesen.

Stille Post bei Alice und Bob zuhause

Stellen wir uns wieder Alice und Bob vor (s. Techmax 36). Ihre Mutter, Physikerin, hat im langen Flur eine kleine Laseranlage mit Sender und Empfänger aufgebaut. Die Quanteninformation schreibt der Sender hier in die sogenannte Polarisation der Photonen hinein. Da Photonen als Quantenteilchen auch Welleneigenschaften haben, entspricht die Polarisation der Schwingungsrichtung der Welle. „Ihr könnt sie euch als fliegende Zeiger vorstellen“, erklärt die Mutter den Geschwistern: „Sie zeigen senkrecht zur Flugbahn und dürfen nach den Quantenregeln nur in zwei verschiedene Richtungen einrasten“. Definiert man eine der beiden Richtungen willkürlich als 1, dann ist die andere die 0.

Die Mutter drückt nun Alice und Bob jeweils ein Tablet in die Hand. Alices Tablet ist mit dem sendenden Laser verbunden, Bobs mit dem Empfänger mit einem sehr empfindlichen Lichtsensor. Das Laserlicht wird im Sender so abgeschwächt, dass nur noch einzelne Photonen die Strahlstrecke entlangflitzen können – wie ein Wasserstrahl zu einzelnen Tropfen wird, wenn der Hahn fast zugedreht ist. Nach dem Laser müssen sie einen sogenannten Polarisator passieren. Er ist über das Tablet in zwei zueinander senkrechten Richtungen drehbar und prägt so dem Qubit einen Zustand 0 oder 1 auf. Außerdem kann Alice den Polarisator um 45° drehen. Auch in dieser verdrehten „Messbasis“ kann sie 0 oder 1 anwählen.

Den Polarisator kann man sich einfach als quadratische Scheibe mit einem Schlitz vorstellen (Abb. B links). Die Drehposition kann Alice über eine kleine App wechseln. „Den Schlüssel erzeugst du, indem du zwischen den beiden Polarisatorpositionen wechselst und dir die gewählte Messbasis notierst“, erklärt ihr die Mutter: „Dann drückst du auf den Senden-Button, und ein Photon mit der aufgeprägten Information fliegt zu Bob.“ In Bobs Empfänger ist ein um 45° drehbares Teil eingebaut, das wie zwei um 90° gekreuzte Polarisatoren wirkt. Diesen „Analysator“ muss das empfangene Photon passieren, bevor es auf einem hochempfindlichen Fotodetektor auftrifft. Wir können ihn uns als Quadrat mit einem Kreuzschlitz vorstellen (Abb. B rechts). Er kann in der gewählten Messbasis die Bits 0 und 1 unterscheiden. Bob kennt die von Alice gewählten Einstellungen nicht. Also muss er über seine App eine der beiden Messbasen willkürlich voreinstellen und das Empfangsergebnis notieren. „Nun kommt der Clou“, erklärt die Mutter: „Immer wenn ihr zufällig die gleiche Messbasis gewählt habt, hat Bob eine korrekte Quanteninformation empfangen.“ Ist Bobs Messbasis gegenüber der von Alice um 45° verdreht, dann ist die Quanteninformation zerstört. Der Detektor meldet zwar dann eine zufällig gemessene 0 oder 1, aber das ist keine von  Alice gesendete Information. „Genau das bringt die Quantensicherheit in diese Übertragungsstrecke“, erklärt die Mutter. Aber wie erhält Bob nun den richtigen Schlüssel?

Die Grafik zeigt schematisch mit Symbolen und drei Figuren, wie das BB84-Protokoll funktioniert.

Abb. B: Das BB84-Protokoll nutzt die Nichtkopierbarkeit von Quanteninformation.
© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Dazu müssen Alice und Bob nur die Listen mit ihren Messbasis-Einstellungen austauschen, etwa über ihre Smartphones. Sie vergleichen die beiden Listen und behalten nur die Bits 0 oder 1 bei gleicher Einstellung. Ist kein Photon verlorengegangen, dann erhalten Alice und Bob exakt gleiche Listen mit Nullen und Einsen. Das ist der von Alice gesendete Schlüssel, mit dem sie nun ihre Botschaften für den öffentlichen, klassischen Kanal verschlüsseln können. Natürlich kann eine Lauscherin Eve die beiden im öffentlichen Kanal belauschen und die Liste der Messeinstellungen korrekt kopieren. Doch ihr fehlt die entscheidende Information, ob Alice bei einer bestimmten Messeinstellung nun eine 0 oder 1 verschickt hat. Sie kommt also so nicht an den Schlüssel heran. Was passiert, wenn sie sich in den Quantenkanal einschaltet?

Die Mutter macht das nun in der Rolle der Eve. Sie schiebt in die Mitte der Übertragungsstrecke ein Gerät, das einen Empfänger mit Analysator und einen Sender mit Polarisator vereint. Damit kann sie Alices Photon abfangen, analysieren und dann ein Photon mit der von Eve gemessenen Information an Bob weiterschicken. Auch bei diesem Experiment notiert Alice, welche Information sie empfangen hat. Nun vergleichen die Geschwister wieder ihre Listen und verwenden die gleich gewählten Messbasen für den Schlüssel. Bei diesem Vergleich erkennen sie viele Fehler. Das liegt daran, dass Eve die von Alice versendete Information ohne Listenaustausch nicht kennen konnte. Also hat sie Falschinformation an Bob weitergesendet.

Doppelt sicher mit Verschränkung

Diese Art des Quantenschlüssel-Austausch nach dem BB84-Protokoll heißt auf Englisch auch „Prepare and Measure“, also „Präpariere und Messe“. Eine noch viel merkwürdigere Eigenschaft der Quantenphysik kann die Sicherheit noch steigern: die Verschränkung (s. Techmax 36). Hier verschickt der Sender gleich zwei Photonen, eines an Alice und eines an Bob. Die beiden Photonen werden aber nun miteinander verschränkt (Abb. C). Sie bilden damit eine Art gemeinsames Quantenobjekt, enthalten aber noch keine Information über den Schlüssel. Alice kann nun durch eine Messung an ihrem Photon zum Beispiel eine 0 erzeugen. Diese Messung legt dann beim verschränkten Photon, das Bob erreicht, sofort eine 1 fest. Hat er seinen Analysator zufällig auf die korrekte Messbasis eingestellt, misst er diese 1 korrekt. Der Vorteil: Sobald sich Eve in die Übertragungsstrecke einschaltet, zerstört sie mit ihrer Messung die Verschränkung und damit die Schlüsselübertragung zu Bob.

Diese Idee hatte der polnisch-britische Physiker Artur Ekert 1991. Viele Experimente zeigten inzwischen, dass das E91-Protokoll funktioniert. Will man allerdings das vorhandene Glasfasernetz nutzen, dann gehen mit wachsender Übertragungsstrecke immer mehr Photonen verloren. Das begrenzt eine praktikable Übertragungsstrecke auf eine Größenordnung von 100 Kilometern. „Grob kann man sagen, dass alle zehn Kilometer nur noch die Hälfte der Photonen da ist“, erklärt Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Er forscht an Lösungen für dieses Grundproblem eines glasfaserbasierten Quanteninternets. Nach jeder Streckenverdopplung ist also nur noch die Hälfte der Photonen in der Quantenpost vorhanden: Der Verlust ist exponentiell!

Die Grafik zeigt schematisch anhand der Figuren Alice und Bob und mit Symbolen, wie das E91-Übertragunsprotokoll funktioniert.

Abb. C: Das E91-Übertragungsprotokoll. Die Verschränkung macht das E91-Übertragungsprotokoll noch sicherer. Nachteil: Ihre besondere Empfindlichkeit gegen Störungen erhöht den technischen Aufwand.
© R . Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Robustere Glasfaserübertragung

Also suchte das Team von Rempe nach einem Gegenmittel. Die Lösung: Es verteilte die Verschränkung und damit das zu übertragende Qubit auf einen Schwarm von Photonen, die hintereinander aus dem Sender in die Glasfaser fliegen. „Wenn maximal die Hälfte der Photonen weg ist, lässt sich nach dem Empfang noch die Verschränkung und damit das Quantenbit rekonstruieren“, erklärt der Physiker. Die Verpackung der verschränkten Quanteninformation erfordert allerdings abstrakte Mathematik.

Rempes Team nutzt dafür sogenannte Graph-Zustände. Man kann sie sich wie einen Weihnachtsdeko-Bausatz aus LED-Lichtern vorstellen, die sich mit kurzen Kabeln zu verschiedenen Figuren zusammenstecken lassen: Ketten, Leitern, Ringe oder baumartige Verzweigungen. Die LED-Lichter symbolisieren die Photonen, die Kabel die Verschränkung zwischen ihnen. Das spielt sich allerdings in einem abstrakten mathematischen Raum ab. In der Realität bleibt die Reihenanordnung der hintereinander fliegenden Photonen unverändert. Wenn man diese Graph-Zustände geschickt einsetzt, dann verteilen sie die Verschränkung über diesen Photonenschwarm so, dass sogar nur noch die Hälfte von ihnen die Quantenpost lesbar ins Ziel bringen kann. Damit sollte sich die Übertragungsstrecke trotz Verlusten deutlich verlängern lassen. Rempes Team erforscht, wie das gelingen kann.

Quantenfunk übers Weltall

Wie wäre es, wenn man vom exponentiellen Verlust an Photonen wegkäme? Genau das ist bei der Satellitenübertragung im Prinzip möglich, an der Christoph Marquardt am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts forscht. Ein Beispiel ist die europäische Demonstrationssonde EAGLE-1, die schon eine Vorstufe zu einem kommerziellen Quantensatelliten darstellt. Sie soll 2026 in die Umlaufbahn geschossen werden. Marquardts Team hat in vielen Jahren das Übertragungsprotokoll und zusammen mit Partnern den „Transmitter“ und Empfänger entwickelt. Der Transmitter „Alice“ befindet sich an Bord: Er erzeugt den Quantenschlüssel und sendet ihn nach dem Prepare-and-Measure-Prinzip, also im Prinzip BB84, zu zwei Bobs zur Erde. Diese können damit dann sicher über einen öffentlichen Kanal kommunizieren.

Ein Laserstrahl ohne Welleneigenschaften würde sich nun vom Satelliten gleichbleibend dünn bis zur Atmosphäre ausbreiten und sich erst dort durch Turbulenzen aufweiten. Allerdings verhindert das die Wellennatur des Lichts. Wellen laufen auch um Kanten herum, sie werden „gebeugt“ (s. Techmax 15). Daher weitet die Austrittsoptik im Transmitter den Laserstrahl etwas auf. Wie auf der Oberfläche eines kugelförmigen Ballons, der aufgeblasen wird, wächst die Querschnittsfläche des Strahls mit der Entfernung. Sie tut das quadratisch. Unter realistischen Bedingungen müsste das Empfangsteleskop am Boden einen Durchmesser von mehr als 10 Metern besitzen. So große Teleskope wären aber zu teuer, eine typische Empfangsschüssel ist so klein wie eine große TV-Satellitenschüssel. Diese ist auf die sogenannte Telekom-Wellenlänge von 1500 Nanometern ausgelegt, also Infrarotlicht. Dieselbe Wellenlänge wird auch bei EAGLE-1 verwendet, weil es dafür bewährte Technik gibt. „Quadratisch ist aber viel besser als exponentiell“, sagt Marquardt zu dem Verlust. Bei der Satellitenkommunikation ist diese geometrische Strahlaufweitung entscheidend. Verloren gehen Photonen nur auf den letzten Kilometern in der dünnen Atmosphäre. Das macht einen vergleichsweise kleinen Verlustanteil aus. Hinzu kommt der Verlust dadurch, dass die Satellitenschüssel nur einen Ausschnitt des Strahls erfasst. Dafür war Marquardts Team mit anderen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen ist die Überflugzeit des Satelliten auf einige Minuten beschränkt. EAGLE-1 soll in einer niedrigen Höhe von rund 500 Kilometern die Erde umkreisen.

Test für den Quantensatelliten

Die andere Herausforderung ist der Doppler-Effekt. Seine akustische Variante kennen wir: Wenn ein Polizeiwagen auf uns zufährt, ist der Sirenenton höher als wenn er sich entfernt. Das liegt daran, dass die Schwingungen der Schallwellen erst gestaucht, dann auseinandergezogen werden. Das passiert auch beim Licht durch die Bewegung des Satelliten. Je nach Bewegung zwischen Alice und Bob wird damit der Zug der eintreffenden Photonen ebenfalls gestaucht oder verlängert, zudem ändert sich ihre Frequenz. Für die korrekte Schlüsselübertragung müssen ihre Messungen an den Photonen aber genau synchronisiert sein. Verstolpert sich einer der Empfänger, dann erhält er einen falschen Schlüssel.

Zu EAGLE-1 sagt Marquardt: „Wichtig ist, dass wir diese Technologie jetzt ausprobieren.“ So können Testempfänger in Europa, sei es im verregneten Irland oder dem hitzeflimmernden Griechenland, die Empfangsqualität in der Praxis testen. Die dabei auftretenden Fehler liefern nützliche Informationen für Verbesserungen. Wenn das Demonstrationsprojekt funktioniert, will Europa kommerzielle Satelliten für eine sichere Quantenschlüssel-Verteilung ins All bringen.

 

Abbildungshinweise:
Titelbild:  © FREEPIK / stwul
Abb. A: © R. Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0
Abb. B: © R. Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0
Abb. C: © R. Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Der Text wird unter CC BY-NC-SA 4.0 veröffentlicht.

TECHMAX Ausgabe 37, April 2025; Text: Roland Wengenmayr; Redaktion: Dr. Tanja Fendt

Kann ein KI-gesteuerter Roboter in der Natur alleine „überleben“, wie im neuen Kinofilm „Der wilde Roboter“? Diese Frage beantworten Forschende vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen. Zusammen mit Doktor Whatson (Cedric Engels) analysieren sie nicht nur die fiktionalen Technologien, die im Film präsentiert werden, sondern auch die realen Herausforderungen, denen sich Roboter- und KI-Entwickler in der Realität gegenübersehen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, wo die Möglichkeiten und Grenzen der Robotik in Bezug auf natürliche Umgebungen und KI aktuell liegen.

[Dauer des Videos: 50 min]

Zum Film auf YouTube: https://youtu.be/VIJPvPB2_nA

Inhalt (Mit Transkript und Kapitelmarkern auf YouTube)
– Wir bauen einen wilden Roboter
– Überlebt KI in der Wildnis?
– Kann ein Roboter eine Mutter sein?
– Roboter und Emotionen
– Braucht es General AI?
– Roboter in der Landwirtschaft
– Können wir KI vertrauen?
– Kann ein Roboter über seine Programmierung hinauswachsen?
– Roboter mit „Fingerspitzengefühl“
– Selbstreparierende Roboter
– Kann man einen „wilden Roboter“ bauen?
– Fazit

Hintergrundinformationen:
Roboter entdecken die Welt
Haptischer Sensor für Roboter

 

Das „klassische“ Exklusiv-Oder-Gatter, kurz XOR-Gatter (englisch eXclusive OR“), besitzt zwei Eingänge A und B und einen Ausgang Y. Sobald an einem dieser Eingänge ein Bit 1 anliegt, erscheint am Ausgang eine 1. Das Gegenstück ist das Kontrolliertes-Nicht-Quantengatter CNOT (Controlled NOT). Es bildet diese logische Operation in einem Quantencomputer ab, umfasst aber auch noch die Überlagerungen von 1 und 0 während einer laufenden Quantenrechnung. So kann es beide Qubits miteinander verschränken. Im Unterschied zum XOR-Gatter muss das Quantengatter zwei Eingänge (links im Symbol) und zwei Ausgänge (rechts im Symbol) besitzen, damit seine Logikoperation umkehrbar (reversibel) bleibt.

© R. Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0

Ein „klassisches“ Bit für einen herkömmlichen Computer kennt nur die Zustände 0 und 1. Das Quantenbit kann auch beliebige Überlagerungen beider Zustände einnehmen. Dargestellt wird dies in einer „Bloch-Kugel“. Die Richtung des Pfeils beinhaltet die jeweilige Quanteninformation zwischen 0 und 1. Diese Information ist bis zur Messung unbekannt. Die Messung zerstört die Überlagerung und lässt den Pfeil in 0 oder 1 springen. Ob 0 oder 1, das hängt von der Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis ab, das aus einer bestimmten Überlagerung heraus entstehen kann.

© R. Wengenmayr / CC BY-NC-SA 4.0