Supraleiter auf dem Sprung zu höheren Temperaturen
Widerstand zwecklos

Dieses Stück Hochtemperatur-Supraleiter wurde mit flüssigem Stickstoff gekühlt: Jetzt schwebt es "eigenstabil" über einem Permanentmagneten.
Dieses Stück Hochtemperatur-Supraleiter wurde mit flüssigem Stickstoff gekühlt: Jetzt schwebt es "eigenstabil" über einem Permanentmagneten.
1911 ging ein Metallröhrchen mit einer Füllung aus hochreinem Quecksilber auf eine extreme Reise: in die Region tiefster Temperaturen. Eigentlich bedeutet Reisen ja Bewegung, doch das Röhrchen befand sich in einem Isoliergefäß, und darin auf dem Weg zum Kältepol würden sogar die allgegenwärtigen Wärmebewegungen von Atomen allmählich einfrieren.
Die Reise fand in einem Labor im niederländischen Leiden statt — damals das Mekka der noch jungen Tieftemperaturphysik. Sein Leiter Heike Kamerlingh Onnes hatte kurz zuvor ein internationales Wettrennen spektakulär gewonnen: Dem Physiker gelang 1908 die erste Verflüssigung des Edelgases Helium. Dazu musste die Leidener Apparatur eine Temperatur von nur 4,2 Kelvin erreichen! Noch nie zuvor waren Menschen dem absoluten Nullpunkt, Null Kelvin oder -273,16 Grad Celsius, so nahe gekommen. So wurde Kamerlingh Onnes weltberühmt. Nun, drei Jahre später, war die Reise zum Kältepol für die Lei-dener zur Routine geworden. Doch das Quecksilber tat etwas völlig Unerwartetes: Im flüssigen Helium verschwand sein elektrischer Widerstand. Heike Kamerlingh Onnes taufte das neue Phänomen Supraleitung.

Abb. A: In Magnetresonanz-Tomografen (MRT) erzeugt ein großer supraleitender Ring ein starkes Magnetfeld, das für die Bilder aus dem Körperinneren notwendig ist. Göttinger Max-Planck-Forscher um Jens Frahm haben dafür gesorgt, dass MRT-Aufnahmen nur noch wenige Minuten benötigen.
1913 erhielt Kamerlingh Onnes den Nobelpreis für Physik — für die Heliumverflüssigung, nicht die damals exotische Supraleitung. Ein Jahr später gelang ihm ein Experiment, das tiefere Einblicke in das Phänomen gewährte. In einer Spule aus supraleitendem Blei starteten die Leidener einen Ringstrom und schalteten die Batterie ab. Nun hätte der Strom selbst in einem sehr guten elektrischen Leiter schnell abklingen müssen. Doch in dem kalten Bleidraht kreiste er unbeirrt weiter, ohne messbar schwächer zu werden. Heute wird diese Eigenschaft in den medizinischen Magnetresonanz-Tomografen ausgenutzt, die ohne Röntgenstrahlung Bilder aus dem Körper liefern: In ihren großen Ringen kreist jahrelang ein einmal eingespeister Suprastrom, der das starke Magnetfeld erzeugt (Abb. A).
1933 machten Fritz Walther Meißner und sein Mitarbeiter Robert Ochsenfeld an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin die zweite große Entdeckung. Sie kühlten ihre Supraleiter in einem Magnetfeld ab — das Ergebnis: Sobald eine Probe supraleitend wurde, drängte sie das Magnetfeld aus ihrem Inneren heraus. Dieser Meißner-Effekt (Titelbild) ist so charakteristisch für die Supraleitung wie der verschwindende elektrische Widerstand. Er kann einen kalten Supraleiter über Permanentmagneten schweben lassen wie auf einem unsichtbaren Kissen. Dieses „eigenstabile" Schweben ist einzigartig und nur mit Supraleitern möglich.
Mitte der 1930er-Jahre versuchte das britisch-deutsche Brüderpaar Fritz und Heinz London den Meißner-Effekt so zu erklären: Das von außen eindringende Magnetfeld wirft an der Oberfläche des Supraleiters verlustfrei kreisende Gegenströme an, die sein Inneres gegen das Magnetfeld abschirmen. Allerdings konnten sie nicht erklären, warum der Supraleiter das Magnetfeld regelrecht aus sich herausdrängt. Das gelang erst später mit Hilfe der Quantenphysik.