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Techmax 32: Messung aus dem Weltraum

© ESA/ATG medialab

Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid gehören zu den aktuell wichtigsten Luftschadstoffen. Zwar sind beide Substanzen nicht sehr langlebig, doch sie werden ständig neu gebildet – zum Beispiel im Verkehr, in Kraftwerken oder bei der Zementproduktion. Bodennahe Messstationen überwachen deshalb vielerorts die Luftkonzentrationen. Daneben gibt es inzwischen auch ein satellitengestütztes Messsystem, das Stickstoffdioxid erfasst. Damit ist es möglich, aus dem All größere Emissionsquellen zu erkennen und Aussagen über die Luftqualität zu machen.

So harmlos und reaktionsträge das Element Stickstoff auch ist – seine Verbindungen mit Sauerstoff sind es nicht. Die wichtigsten Vertreter dieser Stickstoffoxide, Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2), häufig auch als NOx zusammengefasst, gelten beide als Schadstoffe. NO2 etwa ist nicht nur giftig für Menschen, sondern zusammen mit NO an der Bildung von Ozon beteiligt, das ebenfalls giftig ist und darüber hinaus Ökosysteme schädigt und zur Erderwärmung beiträgt. Außerdem wandeln sich Stickstoffoxide in der Atmosphäre mittelfristig zu Salpetersäure um, die dann mit Niederschlägen auf die Erdoberfläche gelangt. Große Mengen an Nitrat-Ionen in Gewässern wiederum tragen zu deren Eutrophierung bei. Wegen all dieser Effekte zählt das Umweltbundesamt Stickstoffoxide, neben Ozon und Feinstaub, zu den aktuell relevantesten Luftschadstoffen.

Gefahr für die Gesundheit

NO2 reizt die Atemwege und kann auf seinem Weg in die Lunge und Blutbahnen organische Substanzen und Zelloberflächen oxidativ angreifen. Bei den ausgelösten Entzündungsreaktionen wird es selbst zum Nitrit-Ion (NO2) reduziert. Der schädigende Effekt verstärkt zugleich die Reizwirkung anderer Luftschadstoffe. Akut kann es zu Atemnot, Husten und Bronchitis kommen. Bei wiederholtem Auftreten sind auch chronische Atemwegs- und Lungenerkrankungen möglich, wobei die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte, eine Lungenfunktionsminderung und letztlich auch das Allergie-Risiko zunehmen.

Weil NO2 eine große Bedeutung als Luftschadstoff hat, wird seine Konzentration vielerorts überwacht. So stehen in den Städten an diversen Stellen Messstationen, in der Regel an stark befahrenen Straßen, wo das Risiko erhöht ist, dass Grenzwerte überschritten werden. Die vorläufige Auswertung der Messwerte aus 2022 zeigt, dass nur noch München und Essen den zulässigen Jahresmittelwert von 40 µg/m3 überschreiten. Im Jahr 2018 hatten noch 57 Städte in Deutschland über dem Grenzwert gelegen. Das Umweltbundesamt führt die kontinuierliche Verbesserung der NO2-Situation in den Städten vor allem auf eine sich verändernde Zusammensetzung der Fahrzeugflotte in Deutschland zurück, aus der immer mehr ältere Diesel-Modelle ausscheiden. Allerdings ist zu bedenken, dass die Grenzwerte für NO2 vor mehr als 20 Jahren festgelegt wurden und es inzwischen neue Erkenntnisse zur gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung gibt. Daher hat die EU-Kommission im Jahr 2022 eine neue Luftqualitätsrichtlinie vorgeschlagen und sich dabei an den deutlich strengeren Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert. Diesen WHO-Richtwert für das NO2-Jahresmittel (10 µg/m3) hielten in Deutschland rund drei Viertel aller Messstationen im Jahr 2022 nicht ein – vor allem in Ballungsräumen und Städten.

Blitze und Verbrennungen

Stickstoffoxide bestehen aus Stickstoff- und Sauerstoffatomen. Beide Elemente sind zugleich die Hauptbestandteile der Luft. Stickstoff ist mit seiner Dreifachbindung zwar ein sehr stabiles und damit reaktionsträges Molekül, doch sobald der Energie-Input hoch genug ist, können N2-Moleküle mit dem Sauerstoff reagieren. Dabei entsteht zunächst NO (Abb. A, 1) und danach auch NO2 (Abb. A, 2). Auf natürliche Weise kann dieser Energie-Input von Waldbränden stammen. Oder von Blitzen, entlang derer sich dann NO und NO2 bilden. Weitere Quellen hängen mit unserer Lebensweise und unseren industriellen Prozessen zusammen. Denn praktisch überall, wo Brennstoffe bei über 1000 Grad Celsius (mit Luft) verbrannt werden, entstehen auch NOx. In Kraftwerken, Kaminöfen, Gasherdflammen – und vor allem auch im motorisierten Straßenverkehr, der laut Umweltbundesamt zumindest in Städten als Hauptquelle von Stickstoffoxiden gilt. Dabei sind insbesondere Dieselmotoren die Ursache. In Ottomotoren entstehen zwar auch Stickstoffoxide, doch sorgen die dort obligatorischen Drei-Wege-Katalysatoren für eine Rückumwandlung in elementaren Stickstoff. Auch Schiffsmotoren sind eine relevante Quelle von Stickstoffoxiden. Im Jahr 2015 etwa stammten geschätzte 13 Prozent der weltweiten Emissionen aus den Schornsteinen der globalen Schiffsflotte.

Abb. A: Reaktionen der Stickstoffoxide.
© MPG / HN

Komplexes Gleichgewicht

Die genannten Reaktionen (Abb. A, 1 und 2) zeigen den Entstehungsweg von zunächst NO und dann auch NO2. Die zweite Reaktion ist exotherm, weswegen das Gleichgewicht bei hohen Temperaturen zunehmend auf Seiten von NO liegt. Bei Verbrennungen entsteht aufgrund der hohen Temperaturen zunächst also vor allem NO. Doch mit der Emission in eine kühlere Umgebung kommt zunehmend auch die Weiterreaktion zum NO2 zum Tragen. Auch das bodennahe Ozon trägt zur Bildung von NO2 bei (Abb. A, 3). Die üblicherweise vorhandenen Hintergrundmengen von Ozon reichen dabei in der Regel aus, um NO schnell zu oxidieren. Das Gleichgewicht zwischen NO und NO2 unterliegt auch einem Tageszyklus. So findet tagsüber die Photolyse von NO2 statt (Abb. A, 4), die zugleich eine Nachbildung von Ozon zur Folge hat (Abb. A, 5). Die Verweilzeit von

NOx in der Atmosphäre ist üblicherweise nicht sehr lang. Dazu trägt vor allem bei, dass NO2 mit Hydroxyl-Radikalen (HO·) zu Salpetersäure reagieren kann (Abb. A, 6), die sich wiederum an Wolkenbestandteile anlagert und somit schließlich in Form von (saurem) Niederschlag aus der Atmosphäre entfernt wird. Da Hydroxyl-Radikale vor allem durch Sonnenlicht aus Ozon und Wassermolekülen gebildet werden, ist dieser Reaktionspfad tagsüber von Bedeutung. Die Lebensdauer von NOx ist bei Tageslicht daher deutlich niedriger als nachts.

Erkundung aus dem All

Abb. B: Fernerkundung. Sonnenlicht, das von der Erdoberfläche reflektiert oder in der Troposphäre gestreut wurde, trifft auf einen Sensor, der am Satelliten montiert ist und für einen bestimmten Wellenlängenbereich die Intensität des Lichts erfasst. Diese Intensität ist, im Vergleich zum ursprünglichen Sonnenlicht, bei all jenen Wellenlängen geschwächt, die von Spurengasen in der Atmosphäre absorbiert werden. Jeder Stoff zeigt dabei ein ganz charakteristisches Absorptionsverhalten. Der Grad der Schwächung in den jeweiligen Wellenlängenabschnitten ist somit ein Maß für die Menge der einzelnen Spurengase in der Atmosphäre unterhalb des Satelliten.
© S. Beirle, MPI für Chemie / CC BY-NC-SA 4.0

Inzwischen lässt sich NO2 auch durch Fernerkundung messen. Sie erfolgt über Satelliten, an denen geeignete Messapparaturen installiert sind. Seit 1970 gibt es solche Messungen aus dem All, seit den 1990er-Jahren kann mit ihnen auch NO2 erfasst werden. Dabei macht man sich zunutze, dass NO2-Moleküle in einem bestimmten Spektralbereich einen Teil des Sonnenlichts absorbieren. Die resultierende Abschwächung der Intensität im entsprechenden Wellenlängenabschnitt lässt sich mit der Messeinrichtung an Bord des Satelliten registrieren (Abb. B).

Seit 2017 steht für die Fernerkundung der Copernicus Sentinel 5 Precursor Satellite (S5P) zur Verfügung. Dieser umrundet die Erde in 824 Kilometern Höhe und trägt das Tropospheric Monitoring Instrument (TROPOMI). Dessen Sensorfeld erfasst Wellenlängenbereiche zwischen  200 und 2400 Nanometern (Abb. C). Dies schließt also den UV-Bereich, das sichtbare Licht sowie Nahinfrarot-Strahlung ein. In diesem relativ großen Spektralbereich weisen neben NO2 noch viele weitere Stoffe charakteristische Absorptionsmuster auf, wie zum Beispiel Ozon, Formaldehyd, Wasserdampf, Methan und Kohlenstoffmonoxid.

Abb. C: Messung von Spurengasen. Spektralbereiche für TROPOMI und früher genutzte Instrumente. Die hellen Balken zeigen die Absorptionsbereiche verschiedener Atmosphären-Spurenstoffe.
© European Space Agency – ESA

Emissionsquellen erkennen

Das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz hat eine lange Tradition in der Entwicklung satellitengestützter Messkonzepte. Heute beschäftigt sich die Forschungsgruppe Satelliten-Fernerkundung unter der Leitung von Thomas Wagner vor allem mit der Erfassung von Luftschadstoffen, darunter auch NO2. In den vergangenen Jahren konnte das Team um Wagner mit immer besser räumlich aufgelösten Messdaten arbeiten. Dazu hat auch die neueste Satellitengeneration mit dem Messgerät TROPOMI beigetragen, das eine räumliche Auflösung von ca.  5 km hat. TROPOMI misst bei einem Überflug das rückgestrahlte Licht von einem 2600 Kilometer breiten Ausschnitt der Erdoberfläche. Es kann mit täglich 14 Umrundungen fast die gesamte Erdoberfläche abscannen. „Jeden Tag liefert TROPOMI also für jeden Punkt der Erde Messdaten“, schwärmt Wagner. Die Forschenden rechnen die von TROPOMI registrierte Absorption in Stoffmengen um und geben diese zum Beispiel in der Einheit „Anzahl Moleküle je Quadratzentimeter“ an. Diese Größe bezeichnet die vertikal integrierte atmosphärische Konzentration. Eine echte Konzentrationsangabe etwa für die Luft direkt am Erdboden lässt sich daraus nur bedingt ableiten: Da der Satellit Strahlung erfasst, die die gesamte Luftsäule zwischen Satellit und Erde durchlaufen hat, kann das Messsystem keine Aussage über die Höhe machen, in der sich die jeweiligen NO2-Moleküle befinden. Jedes NO2-Molekül in dieser Säule trägt zur Absorption bei, egal ob es sich direkt am Boden, in tausend Metern Höhe oder in der Stratosphäre befindet. Die Forschenden berechnen dann den Anteil des NO2 in der Troposphäre aus der Gesamtmessung.

Die Satellitendaten erlauben es, große lokale Emissionsherde wie zum Beispiel Kraftwerke oder Zementwerke zu identifizieren. Dazu bedarf es allerdings eines besonderen Rechenkniffs, den Steffen Beirle aus der Forschungsgruppe von Thomas Wagner vor einigen Jahren entwickelte. Dabei werden die gefundenen NO2-Mengen unter anderem noch mit den herrschenden Windverhältnissen zum sogenannten NO2-Fluss verrechnet. Danach schaut man, ob dieser NO2-Fluss an bestimmten Stellen abrupt zunimmt. „Das ist ganz so, wie der Wasserfluss im Rhein bei Mainz einen Sprung macht und hinter der Main-Mündung höher liegt als vor ihr“, veranschaulicht Beirle seinen Ansatz. Der Physiker hat sein Verfahren auch schon auf die weltweiten TROPOMI-NO2-Absorptionsdaten angewandt. Dabei hat er mehr als 1000 Emissionsquellen sichtbar gemacht – einige davon auch in Deutschland (Abb. D).

Abb. D: Emissionsquellen. Von TROPOMI ermittelte NOx-Emissionen für das Rhein/Ruhrgebiet. Die stärksten NOx-Quellen sind die Braunkohlekraftwerke westlich von Köln sowie die Stahlwerke in Duisburg. Die Dreiecke markieren die 5 stärksten NOx-Quellen in der Region.
© S. Beirle, MPI für Chemie / CC BY-NC-ND 4.0

Mit Daten von der arabischen Halbinsel gelang Beirle auch noch etwas anderes. Dort hatte er im Großraum der saudiarabischen Hauptstadt Riad sechs punktuelle Emissionsquellen nachgewiesen, von denen vier den Standorten von Erdölkraftwerken und zwei denen von  Zementwerken entsprachen. Aus dem Grad, wie die NO2-Mengen mit zunehmender Entfernung von diesen Quellen abnahmen, konnte er auch die mittlere Lebensdauer eines NO2-Moleküls ableiten. Sie lag bei etwa vier Stunden. „Diese Berechnung ist aber nur gelungen, weil Riad mitten in der Wüste liegt und es außerhalb der Stadt so gut wie keinen weiteren NO2-Eintrag mehr gibt. Die Methode ist daher nicht automatisch etwa auf deutsche Ballungsräume übertragbar“, betont der Max-Planck-Forscher. Mit den TROPOMI-Daten zur NO2-Absorption lässt sich auch der globale Schiffsverkehr sichtbar machen. So gelang es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Niederlanden, Griechenland und China, die Routen einzelner Schiffe im zentralen Mittelmeer darzustellen. Auch sie kombinierten die gefundenen Messwerte mit Windgeschwindigkeiten. Im Anschluss verglichen sie die so ermittelten Fahrtverläufe mit den tatsächlichen Routen der zu dieser Zeit im Mittelmeer fahrenden Schiffe – und gelangten zu guten Übereinstimmungen.

Stickstoffoxide weltweit erfassen

Je zuverlässiger die satellitengestützte Erfassung wird, desto breiter werden die Anwendungsfelder. Thomas Wagner und Steffen Beirle sind sich sicher, dass die Kenntnis von NO2-Quellen und -Mengen zukünftig dabei helfen wird, internationale Kataster anzulegen. „In Deutschland kennen wir die wesentlichen Emissionsquellen und können die freigesetzten Stickoxidmengen auch einigermaßen gut kalkulieren“, so Beirle. „Aber für viele Länder gibt es nur sehr grobe Schätzungen der Mengen und keinerlei Kenntnis über die räumliche Verteilung der Emissionen.“ Außerdem könnten Chemikerinnen und Chemiker mithilfe von TROPOMI-Daten Stoffkreisläufe sowie Stofftransporte in der Atmosphäre noch genauer modellieren. Ohnehin hat das Mainzer Max-Planck-Team noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Derzeit freuen sich die Forschenden auf geostationäre Satelliten, die fest über einer bestimmten Koordinate „stehen“ – und somit tagsüber kontinuierlich Messdaten vom selben Ausschnitt liefern. „Damit wäre es erstmals möglich, auch zu bestimmten Uhrzeiten, zum Beispiel zur Rushhour, die NO2-Konzentration zu ermitteln“, sagt Steffen Beirle.

 

Abbildungshinweise:
Titelbild © ESA/ATG medialab
Abb. A: © MPG / HN
Abb. B: © S. Beirle, MPI für Chemie / CC BY-NC-SA 4.0 [1]

Abb. C: European Space Agency – ESA
Abb. D: © S. Beirle, MPI für Chemie / CC BY-NC-ND 4.0 [2]

Der Text wird unter CC BY-NC-SA 4.0 [1] veröffentlicht.

TECHMAX Ausgabe 32, Frühjahr 2023; Autor: Dr. Karl Hübner; Redaktion: Dr. Tanja Fendt