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Geomax 19: Der Fingerabdruck des Monsuns

Überschwemmungen nach schweren Monsunregenfällen im Nordwesten Pakistans im Juli 2010.

© Verändert nach picture alliance / Reuters / Adrees Latif

„Erzähle mir die Vergangenheit und ich werde die Zukunft erkennen“. Dies wusste bereits vor rund 2.500 Jahren der chinesische Philosoph Konfuzius. Obwohl es in seinen Lehren um den idealen, moralisch einwandfreien Menschen ging, lassen sich seine Weisheiten auch auf andere Themen anwenden, etwa auf die Klimaschwankungen in der Vergangenheit und in der Zukunft. „Nur wenn wir die Klimaänderungen der Vergangenheit kennen und verstehen, können wir gute Vorhersagen für die Zukunft machen“, meint Gerd Gleixner, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.
Forscher wie Gleixner haben bereits vor längerer Zeit damit begonnen, im Buch der Klimageschichte zu blättern. Demnach ist das Klima unseres Planeten seit seiner Entstehung vor 4,6 Milliarden Jahren keineswegs stabil geblieben, sondern hat sich kontinuierlich verändert. So gab es einerseits Zeiträume mit extrem kalten Klimabedingungen, andererseits war das Erdklima aber auch schon viel heißer als heute, so dass die Eisschilde an den Polen vollständig abgeschmolzen waren. Solch ein Treibhausklima könnte uns vielleicht schon bald wieder drohen. Dies ist vor allem auf die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas seit Beginn der industriellen Revolution zurückzuführen und den damit verbundenen Anstieg von Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Atmosphäre. Infolgedessen sind auch die weltweit beobachteten Temperaturen von Land- und Ozeanoberflächen zwischen 1880 und 2012 um 0,87 °C gestiegen (siehe Geomax 22 [1]).
Einer der Hotspots des vom Menschen verursachten Klimawandels ist das Gebiet Zentralasiens. Forscher prognostizieren, dass zwei Drittel der Gletscher auf dem tibetischen Plateau, das auch als „dritter Pol“ der Erde bezeichnet wird, bereits bis zum Jahr 2050 verschwunden sein könnten, wenn der gegenwärtige Erwärmungstrend weiter anhält. Um solche Vorhersagen machen zu können, ist es entscheidend, die natürlichen Klimaschwankungen der Vergangenheit zu verstehen. Um ein detailliertes Bild der Klimaentwicklung im Holozän – also der letzten 11.700 Jahre – zu gewinnen, unternehmen Paläoklimatologen eine Zeitreise in die Vergangenheit der Region. „Dieser Zeitraum ist auch deswegen besonders spannend, weil er für die Entwicklung menschlicher Gesellschaften entscheidend war“, sagt Gerd Gleixner. Bisher jedoch fehlt ein ganzheitliches Bild der Klimaentwicklung in Kleinasien im Holozän. Der Hauptgrund dafür ist das komplexe Zusammenspiel konkurrierender Einflussfaktoren, die das regionale Klima steuern.

Zwischen Sintflut und Dürre

Generell wird das Klimasystem Zentralasiens durch das Zusammenspiel der Westwinde, dem Indischen Sommermonsun (ISM) und dem Ostasiatischen Sommermonsun (EASM) beeinflusst (Abb. A). Typisch für den Monsun sind die jahreszeitlich wechselnden kräftigen Winde, die schon vor mehr als tausend Jahren arabische Seefahrer für ihre ausgedehnten Reisen nutzten. Während der Monsun-Saison kommt es aber auch zu heftigen Niederschlägen, die zum Teil sintflutartige Ausmaße annehmen können. Angetrieben wird das großräumige Monsunsystem, das nicht nur das Klima in Asien, sondern auch in Nordaustralien oder Ostafrika beeinflusst, durch Luftdruckunterschiede über dem Meer und den Kontinenten.

Grafische Darstellung der verschiedenen Luftmassen, die das Klima Zentralasiens beeinflussen.

Abb. A: Verschiedene Luftmassen beeinflussen das Klima Zentralasiens: Der Indische und der Ostasiatische Sommermonsun bringen Wärme und viel Feuchtigkeit, der Wintermonsun und die Westwinde sorgen für Kälte und Trockenheit.
© N. Schröter, MPI für Biogeochemie; erstellt mit GeoMapApp (www.geomapapp.org) / CC BY

Die Bedeutung dieser atmosphärischen Systeme ist enorm: Mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung sind allein vom asiatischen Monsunsystem abhängig. Regnet es aber zu viel auf einmal, kommt es zu verheerenden Überschwemmungen und Erdrutschen. Bleibt der Monsunregen dagegen aus, kommt er zu spät oder zu kurz, fehlen in vielen Regionen die wichtigen Niederschläge. Aus paläoklimatischen Aufzeichnungen geht hervor, dass der asiatische Monsun in der Vergangenheit stark geschwankt hat, sowohl über kurze als auch über lange Zeiträume gesehen. Durch Trockenheit sind in den vergangenen Jahrtausenden bereits Kulturen wie die Tang-, Yuan- und Ming-Dynastien Chinas untergegangen.
Veränderungen der Erdbahn und der Sonnenaktivität sind die beiden wichtigsten externen Faktoren, die den Monsun und damit auch das Weltklima beeinflussen. Änderungen der Erdbahn treten mit einer Periodizität von etwa 100.000 Jahren, 41.000 Jahren bzw. 23.000 Jahren auf und führen zu Perioden mit hoher oder niedriger Sonneneinstrahlung auf der Nordhalbkugel. Je nach Einstrahlung verschiebt sich die mittlere Breitenposition der intertropischen Konvergenzzone (ITCZ) und die Verdunstung und Konvektion über dem Indischen Ozean verändern sich. Die Aktivität der Sonne steigt und fällt in Zyklen, die von 11 bis 2.300 Jahren reichen. Eine hohe Sonnenaktivität verstärkt die äquatoriale Konvektion, die mehr Niederschlag in Monsungebiete bringt. Eine geringe Sonnenaktivität bewirkt das Gegenteil.
Auf kürzeren Zeitskalen zeigt der asiatische Monsun eine Verbindung mit anderen Klimaphänomenen wie der El Niño Southern Oscillation (ENSO). El-Niño-Bedingungen (warmes Oberflächenwasser im östlichen und zentralen Pazifik mit verstärkter atmosphärischer Konvektion) führen in der Regel zu Dürren in den asiatischen Monsungebieten. La Niña – das Gegenteil von El-Niño – bewirkt dagegen eine Verstärkung des Monsuns, mit Überschwemmungen und Stürmen. Diese Klimavariablen bedingen zusammen mit externen Faktoren wie der Sonneneinstrahlung die Variabilität des asiatischen Monsunsystems auf unterschiedlichen Zeitskalen, was letztlich zu einem komplexen Klimageschehen in den Tropen und Subtropen führt. Diese Faktoren auf verschiedenen Zeitskalen auseinanderzudividieren ist die Herausforderung für die Monsunforschung.

Spurensuche im See

Kasun Gayantha und Natalie Schröter sind Mitglieder der Forschungsgruppe von Gleixner und untersuchen die Monsunschwankungen auf dem Tibetischen Plateau und im Zentralasiatischen Hochgebirge. Die Jenaer Forscherinnen und Forscher haben für ihre Untersuchungen den Tschatyrköl-See in Kirgistan ausgewählt, der in großer Höhe (ca. 3.500 m ü. NN) innerhalb des Tian-Shan-Gebirges liegt. Das Gebiet reguliert den Klima- und Wasserhaushalt des nördlichen Zentralasiens und verspricht nicht nur wertvolle ökologische, sondern auch kulturelle Informationen, da Kirgistan an der alten Seidenstraße liegt und „Kulturbrücke“ zwischen Asien und Europa war. „Während der Untersuchung von Oberflächenwasser haben wir bei einer kirgisischen Familie in einem Wohnwagen übernachtet. Es gab kein fließendes Wasser, keine Elektrizität und es war sehr abgeschieden. Bei dem geringen Sauerstoffgehalt in dieser Höhe muss man vorsichtig sein, und die Sonneneinstrahlung ist sehr hoch“, erzählt Natalie Schröter. Die Paläoklimatologen nutzen auch Proben aus Seesedimenten, um die Veränderungen der Monsunniederschläge in der Vergangenheit und deren Umweltauswirkungen nachzuvollziehen. Um die Proben aus den Seesedimenten zu erhalten, sind große Anstrengungen nötig: „Man braucht mehrere LKW-Ladungen mit Ausrüstung für eine Bohrung. Das Material muss auf eine Höhe von über 3.500 Metern gebracht werden. Mittlerweile gibt es eine Straße zum Tschatyrköl-See. Dann muss ein großes Team mehr als vier Wochen arbeiten, um die Bohrung durchzuführen“, berichtet Gleixner.

Blick in die Klimavergangenheit

Sind die wertvollen Proben dem Bohrkern entnommen, analysieren die Forscherinnen und Forscher Isotope in Biomarkern, um das Klima in der Vergangenheit zu rekonstruieren. Biomarker sind organische Verbindungen, die in geologischem Material (z. B. Seesediment) erhalten bleiben und sich auf ein Lebewesen oder einen Prozess wie die Fotosynthese zurückführen lassen. Isotope sind Atomarten eines Elements, die unterschiedlich schwer sind. Wasserstoff liegt größtenteils als leichtes Wasserstoffisotop 1H (ein Proton im Kern) und zu einem sehr geringen Anteil als schweres Wasserstoffisotop 2H (ein Proton und ein Neutron im Kern) vor. Bei der Isotopenanalyse bestimmen Forschende anhand der unterschiedlichen Massen, welchen Anteil die verschiedenen Isotope eines Elements an einer Materialprobe haben. Die gemessenen Verhältnisse von leichtem und schwerem Wasserstoff in den organischen Verbindungen der Probe liefern Informationen über Klima und Umwelt in der Vergangenheit. „Es dauerte fast 20 Jahre, bis sich diese Methode in der Paläoklimatologie etabliert hat. Sie musste in verschiedenen Systemen überprüft werden, damit wir sicher sein konnten, dass die Analyse der Wasserstoffisotope auch in unserem Fachgebiet funktioniert“, erklärt Gerd Gleixner.
Für die Rekonstruktion des Klimas nutzen die Forschenden das unterschiedliche Verhalten der beiden Wasserstoffisotope: Wenn Wasser verdunstet, gehen die leichten Wasserstoffisotope schneller in die Gasphase über, was in Folge die Isotopenverhältnisse verschiebt. Dieser Vorgang wird Isotopenfraktionierung genannt und ist stark von der Umgebungstemperatur abhängig. In Warmzeiten mit höherer Verdunstung reichert sich das schwere Wasserstoffisotop im Grundwasser und in den Gewässern an, in kalten Zeiträumen mit geringerer Verdunstung ist der Anteil des leichteren Wasserstoffisotops höher.

Der isotopische Fingerabdruck, Grafik

Abb. B: Der isotopische Fingerabdruck des Regenwassers wird in den Landpflanzen gespeichert, das Isotopenverhältnis des Seewassers in den Unterwasserpflanzen. Aus dem Abstand der beiden Werte wird ein Index berechnet, der Auskunft über den Grad der Verdunstung gibt. Daraus wird ein eher trockenes oder feuchtes Klima abgeleitet.
© MPG; HN /  CC BY-NC-SA 4.0

Pflanzen nutzen das Wasser in ihrer Umgebung: Sie bauen fotosynthetisch Biomasse auf, wobei Wasserstoff als Bestandteil organischer Moleküle in ihre Stängel, Blätter und Blüten gelangt. Der „isotopische Fingerabdruck“ des Wassers – das Verhältnis zwischen leichtem und schwerem Wasser – wird im organischen Material präzise abgespeichert. Sterben die Pflanzen ab, lagern sich ihre Überreste in Form von Fossilien in den Sedimenten der Seen, Flüsse oder Meere ab. Wenn die Klimaforschenden Sedimentproben aus Zentralasien untersuchen, können sie den vor Tausenden von Jahren entstandenen isotopischen Fingerabdruck der Pflanzen wieder sichtbar machen und so längst vergangene Niederschlags- und Verdunstungsszenarien aufdecken.
So nutzen Forschende die Wasserstoffisotopenanalyse von unverzweigten n-Alkanen aus Blattwachsen als paläohydrologischen Parameter (δD), um das Verhalten des Monsunsystems in der Vergangenheit zu verstehen (Abb. B). Die Isotopenfraktionierung im Regenwasser hängt hauptsächlich von dessen Menge bzw. Intensität und der Feuchtigkeitsquelle in tropischen Monsungebieten ab. Wenn Landpflanzen das Wasser aus dem Boden aufnehmen und Blattwachse bilden, lässt sich durch die Analyse der langkettigen Alkane der ursprüngliche Gehalt an Wasserstoffisotopen im Regenwasser nachvollziehen. Im Gegensatz dazu nutzen Unterwasserpflanzen und Schwimmpflanzen im See das Umgebungswasser als primäre Wasserquelle. Die kurzkettigen Alkane ihrer Blattwachse ermöglichen daher die Rekonstruktion des Isotopengehalts des Seewassers. Die Wasserstoffisotopen-Verhältnisse von aquatischen und terrestrischen Alkanen liefern somit Informationen über das Verhältnis von Wasserverlust durch Evapotranspiration und Wassergewinn durch Niederschläge (Evaporation-to-Inflow-Index). Die Evapotranspiration setzt sich aus der direkten Verdunstung (Evaporation) und der Abgabe durch Pflanzen (Transpiration) zusammen. Der Index zeigt zusätzlich, ob Wasserzufuhr oder -verlust die Wasserbilanz veränderten.

Menschen auf Wanderschaft

Die Jenaer Forschungsgruppe möchte auch herausfinden, wie sich die Menschen in der Vergangenheit an veränderte Umweltbedingungen angepasst haben. Dazu kombinieren sie die Isotopenanalyse mit dem fäkalen Biomarker Coprostanol. Dieser Stoff entsteht beim mikrobiellen Abbau von Cholesterin im Darmtrakt von Menschen und Tieren. Die Konzentration von Coprostanol in den Sedimentproben verrät die Anwesenheit von Menschen. Den frühesten Hinweis auf menschliche Anwesenheit am Tschatyrköl-See zeigt ein Spitzenwert in der Coprostanol-Konzentration ab ca. 5.900 Jahren BP (vor 1950) und besonders bei ca. 4.800 Jahren BP (Abb. C). Gleichzeitig steigen auch die Werte für den E/I-Index, was auf Trockenperioden hinweist. „Wir gehen davon aus, dass in dieser Zeit die Menschen zum Tschatyrköl-See gewandert sind. Wahrscheinlich war es im Tiefland zu trocken, sodass sie in höher gelegene, kühlere Regionen ausgewichen sind“, erklärt Gleixner. Die schwierigen Umweltbedingungen im Tiefland, die bessere Erreichbarkeit der höheren Regionen und der Bedarf an neuen Weidegebieten aufgrund begrenzter Ressourcen könnte die Menschen dazu gebracht haben, sich während der Trockenzeit in der Gegend um den Tschatyrköl-See anzusiedeln.

Coprostanol-Konzentration am Tschatyrköl-See, Grafik

Abb. C: Die Coprostanol-Konzentration von 8000 µg pro Gramm Trockensubstanz weist auf die Anwesenheit von Menschen am Tschatyrköl-See zwischen 6.000 und 4.000 Jahren BP (vor 1950) hin. Der Evaporation-to-Inflow-Index zeigt trockene Umweltbedingungen an. Der Index wird aus der Zusammensetzung der Wasserstoffisotope (δD) in terrestrischen und aquatischen n-Alkanen berechnet. Je größer der Wert von δD ist, desto höher ist der Gehalt des schweren Isotops. In Trockenzeiten reichert sich schwerer Wasserstoff im Seewasser an und sein Gehalt im Regenwasser ist geringer.
© N. Schröter, MPI für Biogeochemie / CC BY-NC-SA 4.0

Blick in die Zukunft

Bis ein vollständiger Klima- und Umweltdatensatz von Zentralasien erfasst sein wird, gibt es noch eine Menge zu tun. Um die Klimageschichte offenzulegen, untersuchen Forschende aus der ganzen Welt viele verschiedene Seen Zentralasiens. „Je mehr Probenahmestellen und Aufzeichnungen über eine breite geologische Zeitspanne wir haben, desto besser werden wir das Verhalten des Monsunsystems verstehen“, sagt Gleixner. Deshalb ist eine Tiefbohrung geplant, um einen besonders langen Sedimentkern aus dem Nam-Co-See auf dem tibetischen Plateau zu gewinnen. Ein solcher Sedimentkern würde die Umweltvariabilität über lange Zeitspannen offenlegen. Auch in äquatornahen Gebieten wie Sri Lanka sind Tiefbohrungen geplant, um wichtige Komponenten des asiatischen Monsunsystems besser zu verstehen. „Irgendwann werden unsere Aufzeichnungen über tropische und subtropische Monsunschwankungen über die geologische Geschichte hinweg die Klimamodelle dabei unterstützen, zukünftige Klimatrends in der Region besser vorherzusagen“, prognostiziert Gleixner. Den Ländern in den Monsungebieten wird das dabei helfen, rechtzeitig Möglichkeiten im Umgang mit Klimaveränderungen zu entwickeln.

 

Abbildungshinweise:
Titelbild: © Verändert nach picture alliance / Reuters / Adrees Latif
Abb. A: Monsun © N. Schröter, MPI für Biogeochemie; erstellt mit GeoMapApp (www.geomapapp.org) / CC BY
Abb. B: Biomarker © MPG; HN/ CC BY-NC-SA 4.0 [2]
Abb. C: Coprostanol © © N. Schröter, MPI für Biogeochemie / CC BY-NC-SA 4.0 [2]

Der Text wird unter CC BY-NC-SA 4.0 [2] veröffentlicht.

GEOMAX 19,  aktualisiert im Frühjahr 2021; Redaktion: Tanja Fendt